Strike Bike im thüringischen Nordhausen

 

Strike Bike – eine Belegschaft wird rebellisch

deutsch | 45:08 min | 2010

Im Film Strike Bike von labournet.tv erzählen sichtlich stolze Arbeiter der ehemaligen Bike Systems GmbH & Co KG in Nordhausen von ihren Erfolgen der letzten Monate: die Firma sollte bereits am 30. Juni 2007 geschlossen werden, aber im Oktober 2007 läuft die Produktion nun für eine Woche noch einmal in Eigenregie der Belegschaft an. Dazwischen liegen über drei Monate des Engagements für den Standorterhalt. Am 20. Juni 2007 erfahren die Angestellten der ehemaligen Bike Systems Nordhausen von der geplanten Betriebsschließung am Endes des Monats. Ein Umzug an einen anderen Standort des Unternehmens kommt für die meisten der 135 Arbeiter nicht in Frage. Zusätzlich ist unklar, ob noch ausstehende Löhne und angemessene Abfindungen gezahlt werden würden. Die Arbeiter entschließen sich deshalb innerhalb von 20 Tagen zu einer Besetzung der Fabrik in Form einer permanenten Betriebsversammlung ab dem 10. Juli. Sie bewachen in Schichten die Maschinen, organisieren Demos und Feiern, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, und das alles zunächst ohne gewerkschaftliche Präsenz im Betrieb. Betriebsübernahmen kennt man hauptsächlich aus Südamerika, auch in der Schweiz, Griechenland und Frankreich wurden bereits erfolgreich Betriebe von der Belegschaft übernommen. Dass so etwas im thüringischen Nordhausen gelingen kann, glaubt fast niemand. Dennoch entscheidet die Belegschaft sich als nächsten Schritt für eine Streikproduktion. Falls man es schaffte, mindestens 1800 Vorbestellungen – das Minimum für eine kostendeckende Produktion – in Vorkasse einzuholen, könnte man ein eigens für diesen Anlass entwickeltes, Strike Bike getauftes, Fahrradmodell für eine Woche produzieren. Unterstützung nimmt die Belegschaft schließlich von der relativ kleinen anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU an, nachdem die IGM nicht überzeugen konnte. Verdi leistet finanzielle Hilfe. In ordnungspolitischen Fragen hält die Stadtverwaltung zu den Streikenden, keine Unterstützung gibt es von der CDU – Landesregierung, und der DGB spricht sich gegen die Streikproduktion aus. Für den Vertrieb stützt man sich auf Strukturen wie den Fahrradladen Radspannerei Berlin und das Vertriebskollektiv Café Libertad in Hamburg, außerdem auf Infoveranstaltungen in ganz Deutschland, bei denen direkt vorbestellt werden kann, und eine Webseite für Bestellungen. Damit will man beweisen, dass die Produktion keinesfalls marode ist, wie vom Eigentümer behauptet, dass das Werk noch läuft, und die hergestellten Fahrräder nachgefragt werden. Die Aktion erfährt tatsächlich viel Zuspruch, es gibt aus aller Welt mehr Anfragen, als in einer Woche Produktion befriedigt werden könnten. Die Arbeitsbedingungen während dieser Woche jedenfalls bestimmen die Produzierenden selbst: es werden die Stückzahlen und Wochenstunden reduziert, es gibt hierarchiefreie 10 € Lohn für alle Beschäftigten, man beginnt den Arbeitstag etwas später als zuvor, und die Pausenzeiten werden erhöht. Nachdem die Arbeiter im Jahr 2003 bereits Lohnverzicht hingenommen hatten, um die Profitabilität des Unternehmens zu retten, und in den Jahren danach Wochenendarbeit und Überstunden leisten mussten, ist das eine wirkliche Verbesserung. Es bleibt zunächst bei den fünf Tagen, die die Streikproduktion läuft – das finanzielle Risiko für jeden Einzelnen wäre sonst zu groß, Kredite müssten aufgenommen werden. Ohne jeglichen finanziellen Spielraum sind diese fünf Tage aber bereits ein großer Erfolg. Im Anschluss wird von 21 ehemaligen Angestellten der Bike Systems Nordhausen die Strike Bike GmbH gegründet und die Produktion der Strike Bikes ab Mai 2008 weiter geführt. Auch wenn man den Betrieb am Ende nicht halten konnte (die GmbH meldet 2010 Konkurs an), haben alle ehemaligen Angestellten eine wichtige, eine verändernde Erfahrung gemacht: sich fast ohne Unterstützung von Außen selbst zu organisieren, dabei die Arbeitsbedingungen für alle zu verbessern, und trotzdem rentabel produzieren zu können, ist ein besonderes Erlebnis für die Streikenden.

Noch wichtiger ist vielleicht die große Unterstützung der örtlichen Bevölkerung und der benachbarten Betriebe in Form von Zuspruch, Geld- und Sachspenden. Und vor allem, Solidarität und Zusammenhalt unter den Kolleginnen zu erleben – von denen man einige erst durch diese gemeinsame Aktion kennen gelernt hat.