„Die Demos kamen im Heißen Herbst. Da sind sie entstanden“, erinnert sich wiederum Parlanti. „Und sie sind nicht, wie viele behaupteten, aus Spontaneismus entstanden. Klar, der Spontaneismus war da, aber morgens gab es immer Leute, die Verantwortung übernahmen. Weil eine Demo nicht so einfach aus dem Nichts entsteht. Es waren zwar stürmische Zeiten, aber es gab immer jemanden, der das organisierte. Es war weiß Gott nicht so leicht, eine Demo zu machen. Zuallererst mußtest du alle Hallen gut kennen. Wir sagten: Morgen treffen wir uns an dem und dem Pfeiler, oder wir treffen uns alle an den Fratzen. Dort traf sich eine Gruppe von zehn, fünfzehn Leuten. Einer nahm ein Blech, ein anderer auch, und sie fingen an, draufzuhauen. Und wir liefen herum, liefen herum, bis sich die Leute von den Bändern losmachten und sich der Demo anschlossen. Den Zusammenhalt schuf der Lärm. Und du mußtest dein Hirn anstrengen und nicht einfach irgendwelche Idiotendemos machen. Du mußtest sie wegen der richtigen Sachen machen. Dann folgten dir die Leute. Es war sehr wichtig, wer sich an die Spitze der Demo setzte. Wir beschlossen zum Beispiel, morgen gehen wir ins Motorenwerk. Wir setzten uns an die Spitze der Demo und gingen ins Motorenwerk. Morgen gehen wir in die Gießerei; wir gingen in die Gießerei; wir rissen die Tore nieder. Die Demo war genau dazu da, damit sich so weit auseinander liegende Abteilungen in dieser riesigen Fabrik miteinander vereinigen konnten. Sie war dazu da, um diese Abschottungen aufzubrechen. Einem aus dem Süden war es egal, wenn ein Piemontese an der Spitze war, so wie es einem Piemontesen egal war,wenn einer aus dem Süden an der Spitze war.“
Nach und nach begann sich die Fabrik unter dem Druck dieser Angriffe zu verändern. Die Rhythmen wurden langsamer. Zum ersten Mal gab es Pausen. Der Würgegriff , in dem das Maschinensystem die Menschen hielt, lockerte sich. Die formalisierten Möglichkeiten, auf die Bandgeschwindigkeit Einfluß zu nehmen, das Entstehen einer informellen Macht, durch die die Mannschaft Kontrolle ausübte, das Auftauchen einer anderen Figur, die dem Kapo gegenüberstand und auch etwas zusagen hatte − des Delegierten − linderten anscheinend den Druck, ließen Selbstverteidigungsmechanismen greifen und schränkten die Despotie des Kommandos ein. Und mit der Fabrik veränderten sich die Menschen: „Unser eingeschrumpftes Hirn erinnerte mich manchmal an diese Vögel im Käfig, die wir freiließen, damit sie abhauen sollten, und die dann nicht mehr fliegen konnten. Das machte mich richtig traurig: ‚Mein Gott’, sagte ich mir, ‚an unser Hirn lassen sie uns nicht mal mehr denken’. Und auf einen Schlag, 1969, fing es wieder an zu funktionieren. Wir haben den Käfig geöffnet und wieder angefangen zu fliegen“, erinnert sich Rino Brunetti.
Fiat im „heißen Herbst“, Thekla 15
(1992), Wildcat-Beilage, 45 ff .